Eva Zurhorst hat als eine der erfolgreichsten Paar-Coaches Deutschlands tausende Menschen dabei begleitet, zu einer glücklicheren Beziehung zurückzufinden. Im Gespräch mit sinnsucher.de erklärt sie, warum wir unsere Vorstellungen von gutem Sex genau hinterfragen müssen und warum Sex ohne Liebe niemals erfüllend sein kann. 

 

Zu Anfang eine sehr große Frage: Wie wichtig ist Sexualität in der Beziehung? 

Das ist für mich auch immer eine ganz schwierige Frage. Denn davor steht oft das Missverständnis darüber, was Sexualität eigentlich ist. Vor allem wir Frauen glauben oft: Gute Sexualität, das bedeutet, ganz viel Leidenschaft, ich muss Lust haben und richtig erregt sein – und wenn ich das nicht bin, dann ist vermutlich etwas falsch in meiner Beziehung. 

 

Eine Annahme, die viele – gerade Frauen – ja auch ziemlich früh gelernt haben. 

Was wir als Sexualität beigebracht bekommen haben, ist eine große Konditionierung. Genau wie Menschen Jahrtausende lang gesagt haben „Die Erde ist eine Scheibe!“, ist uns beigebracht worden: Sexualität ist Action, pure Erregung mit vielen Fantasien und Praktiken. Aber: Für unseren Körper ist das überhaupt nicht so. Der möchte so richtig weich, weit, tiefenentspannt, offen und in so einer Art prickelndem Fluss sein. Das ist eher wie beim Gänsehautgefühl – da reicht oft eine Kleinigkeit und überall läuft ein Schauer durch mich durch. 

 

Diese Fantasie vom Super-Sex, ist in der heutigen Zeit aber präsenter als je zuvor. Pornografie war beispielsweise nie einfacher zugänglich als heute. 

Ja, jeden Tag werden 2,5 Milliarden Pornos runtergeladen. Aber das ist eine ganz andere Ebene, das hat nichts mit einer realen körperlichen Erfahrung zu tun. Die Ebene hier ist von Kopf zu Kopf, das Herz hat damit nichts zu tun und auch der Körper wird nur angesteuert. Das muss man unterscheiden. Diese ganze Fantasiewelt ist der Versuch, über den Kopf in die Welt von diesem erhöhten, ekstatischen Gefühl zu bekommen. Aber das klappt nicht, das macht nur Süchtig wie jeder Ersatz. Was fehlt ist die reale körperliche Erfahrung von echter Nähe und Hingabe – das geht weder von Kopf zu Kopf, noch von Bildschirm zu Kopf. 

 

Einer Ihrer Kurse heißt „Sex ist Liebe“. Was genau bedeutet das – und wie sind Sie auf den Titel gekommen?

Ich habe in tausenden Gesprächen mit Paaren gemerkt: Wenn kein Raum da ist für Vertrauen, die Herzen sich nicht öffnen, dann ist Sex nichts als mechanischer Sport. Etwas, das mich niemals erfüllt und niemals genährt zurücklässt. Der Kurstitel will daran erinnern, dass eine erfüllte Sexualität auch ein Gefühl von Nähe, von weich werden und Offenheit erfordert. 
 

Profilbild für Eva-Maria Zurhorst

Eva-Maria Zurhorst

Paartherapeutin & Bestseller-Autorin

Gemeinsam mit ihrem Mann Wolfram Zurhorst zählt Eva-Maria Zurhorst, geboren im Jahr 1962 in Wipperfürth (Nordrhein-Westfalen) zu den erfolgreichsten Paar-Coaches Deutschlands.

Ihre Bücher wurden weltweit über eine Million Mal verkauft, ihr Buch „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ dominierte die Bestseller-Listen über Jahre hinweg und wurde in 18 weitere Sprachen übersetzt. Auf sinnsucher.de ist Eva-Maria Zurhorst Expertin für Beziehungsfragen und Sexualität.

Sie haben einmal gesagt, dass in einer langjährigen Beziehung fast jedes Paar an den Punkt kommt, an dem der Sex zumindest einen Partner nicht mehr glücklich macht. Aus Ihrer Erfahrung als Coach: Was sind dafür die häufigsten Gründe?

Das ist übrigens keine These von mir sondern Ergebnis der Sexualforschung.  Der Grund dafür ist zum einen, dass wir wie gesagt mit der falschen Erwartung rangehen, weil wir etwas völlig falsches gelernt haben. Zum anderen ist da die Tatsache, dass man die Sexualität in der Beziehung nicht abkoppeln kann vom restlichen Leben. Gerade wenn sich im Laufe der Jahre die Umstände in einer Partnerschaft verändern – Verantwortung, Routine und Druck nehmen zu, mit Stress, Lebensversicherungen, Kindern. 

 

Alltag als Lustkiller. 

Es ist doch so: Wenn Sie versuchen, eine Blume auf einem Betonboden zu pflanzen, dann wird das nicht klappen. Der Boden ist nicht nahrhaft und die Pflanze wird eingehen. Genauso ist es, wenn Paare nur noch vor dem Fernseher hängen, sich nicht mehr richtig unterhalten – da fehlt der Raum für eine schöne Beziehung und auch für eine schöne Sexualität. Wenn wir das wollen, müssen wir unser Leben wieder zu einem saftigen Boden machen.

 

Und das heißt?

Wir müssen genau angucken: Sind wir dauernd im Stress, dauernd am Streiten, ist da eine Sprachlosigkeit zwischen uns? Und nehmen wir unseren Mut zusammen, lassen ein paar Sachen los und machen es uns wieder schön?  

 

Viele Paare kommen genau mit dieser Problematik zu Ihnen. Wie gehen Sie hier vor?

Ein Punkt ist, dass ich auf ihren Alltag schaue und wir gemeinsam überlegen, wo sie bereit sind, wirklich etwas zu verändern. Oft ist da bei Männern und bei Frauen ein zu großes Harmonie-Bedürfnis und die Angst, dass es Stress gibt, wenn sie über Probleme reden. Gerade Frauen zweifeln oft an ihrer Sexualität und glauben, mit ihnen sei etwas falsch, aber trauen sich nicht, etwas zu sagen.

 

Womit wir wieder bei den Annahmen und Glaubenssätzen wären.

Genau, in der Arbeit schaue ich immer auch auf die Prägungen und Verletzungen in der eigenen Geschichte. Die meisten ahnen nicht, wie massiv die in die Beziehung hineinwirken. Das sind im Coaching oft Momente der Erleichterung, wenn jemand entdeckt, dass in seinem Unterbewusstsein – was immerhin 95% des Bewusstseins ausmacht – Glaubenssätze versteckt sind wie: Nähe, Zärtlichkeit, das ist gefährlich, das kann mich verletzen. Wenn wir diese Sätze anschauen und versuchen, sie aufzulösen, ist das für viele eine berührende Erfahrung, weil sie merken: Mit mir ist nichts falsch, da ist nur eine Geschichte in meiner Erinnerung, die ich jetzt in den Arm nehmen kann. Und plötzlich bin ich frei, für meinen Partner, aber auch für meinen eigene Körper, für mein Herz.  
 

Autorenbild: Boris Breuer