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Kalender Aktualisiert:25. Jul 2024

Was versteht man unter einem Helfersyndrom?

Unter einem Helfersyndrom versteht man das übermäßige Bedürfnis, anderen helfen zu wollen. Menschen gerne zu helfen ist natürlich grundsätzlich eine positive Eigenschaft, die unsere Gesellschaft zusammenhält. Wer anderen gerne hilft, leidet deswegen noch lange nicht unter einem Helfersyndrom.

Die Hilfsbereitschaft wird erst dann zu viel, wenn sie anderen Menschen ungefragt aufgedrängt wird oder aber eigene Bedürfnisse dadurch komplett vernachlässigt werden. Dann kann dieser innere Drang, helfen zu wollen, sogar gesundheitlich schaden.

Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer prägte den Begriff 1977 in seinem Buch „Die hilflosen Helfer“, in dem er die seelische Problematik der helfenden Berufe genauer betrachtete. Denn Menschen mit Helfersyndrom suchen sich oft gezielt Sozialberufe aus wie Krankenpflege, Altenpflege, Sozialpädagogik, Lehramt oder Seelsorge.

 

Wie äußert sich ein Helfersyndrom?

Ein Helfersyndrom äußert sich durch bestimmte Anzeichen. Du bietest anderen gerne Deine Hilfe und Unterstützung beim Organisieren eines Festes an, hilfst gerne beim Umzug, erledigst gerne kleine Besorgungen, wenn es anderen schlecht geht, bäckst gerne einen Kuchen fürs Sommerfest – all das nennt man Hilfsbereitschaft. Ein Helfersyndrom könnte jedoch dahinterstecken, wenn Du

  • Deine Hilfe aufdrängst, auch wenn niemand drum gebeten hat oder jemand Deine Hilfe bereits dankend abgelehnt hat.
  • die Probleme anderer zu Deinen eigenen machst.
  • Aufgaben einfach übernimmst, ohne darum gebeten worden zu sein.
  • dadurch keine Zeit mehr für Dich hast.
  • selbst unter Stress gerätst, weil Du ständig für andere da bist.
  • körperlich und seelisch darunter leidest, aber trotzdem nicht Nein sagen kannst.
  • selbst Hilfe nicht annehmen kannst, obwohl Du Unterstützung gut brauchen könntest.
  • Dich schlecht fühlst, wenn Du Dir etwas Gutes tust oder Dir eine Auszeit gönnst.
  • immer das Gefühl brauchst, gebraucht zu werden.
     

Was ist die Ursache für ein Helfersyndrom?

Als Ursache für ein Helfersyndrom gilt ein geringes Selbstwertgefühl, das meist schon in der Kindheit entsteht. Wer wenig Aufmerksamkeit und Liebe von den Eltern bekommen hat, verspürt auch im Erwachsenenalter den Drang, besonders hilfsbereit, lieb und aufopfernd sein zu müssen, um anerkannt zu werden.

Das Verhaltensmuster hat sich von Klein auf tief eingeprägt: Wenn ich anderen helfe, bekomme ich deren Dankbarkeit und Zuneigung. Helfe ich nicht, werde ich nicht geliebt. Da jeder Mensch geliebt und wertgeschätzt werden möchte, wird die Aufopferung zum zwanghaften Verhalten und damit zum Helfersyndrom.

Manche Menschen sind aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur besonders gefährdet, ein Helfersyndrom zu entwickeln, beispielsweise bei einem Hang zu Depressionen, Suchtverhalten, Narzissmus oder generell durch eine emotionale Instabilität.

 

Welche Folgen kann ein Helfersyndrom haben?

Ein ausgeprägtes Helfersyndrom kann Folgen für Deine Gesundheit und Psyche haben. Vielleicht übst Du einen sozialen Beruf aus, arbeitest in der Pflege oder pflegst mit Hingabe Familienangehörige. Durch die ständige Aufopferung für andere lässt Du jedoch Dich und Deine Bedürfnisse völlig außer Acht. Das kann langfristig zu Stress, Angstzuständen, Panikattacken, Burn-Out oder Depressionen führen.

Wer hilft, erwartet dafür ein Danke. Bist Du jedoch immer für alle da, wird Deine Hilfsbereitschaft schnell als Selbstverständlichkeit gesehen und die Dankbarkeit nimmt ab. Dadurch fühlst Du Dich nicht wertgeschätzt und Deine Unzufriedenheit steigt.

 

Menschen mit Helfersyndrom suchen sich außerdem gerne hilfsbedürftige Menschen als Partner aus. Dann basiert die Beziehung meist nicht auf gegenseitigem Geben und Nehmen, sondern auf ständigem Geben, ohne viel zurückzubekommen. Beziehungen mit schwerkranken, suchtabhängigen, pflegebedürftigen oder depressiven Partnern fordern Deine ganze Kraft, bis Du selbst darunter leidest.

Aufgedrängte Hilfe kann jedoch auch den Hilfeempfängern schaden, denn nicht immer ist Hilfe sinnvoll und angebracht. Nimmst Du beispielweise einer Person sämtliche Aufgaben ab, leidet deren Eigenständigkeit. Das kann Kinder genauso betreffen wie ältere Menschen. Sie werden dann von Deiner Hilfe abhängig und verlernen, Probleme selbst zu lösen.

Was kann ich gegen mein Helfersyndrom tun?

Um gegen Dein Helfersyndrom etwas tun zu können, musst Du Dir zuerst eingestehen, dass Du Dich für andere aufopferst und Deine eigenen Bedürfnisse vernachlässigst. Viele Menschen mit Helfersyndrom kennen ihre eigenen Bedürfnisse gar nicht oder verdrängen sie.

Das einzige Bedürfnis, das sie durch ihr Aufopferungsverhalten befriedigen, ist das Bedürfnis nach Anerkennung. Das Gefühl, Gutes zu tun, lässt sie anderen gegenüber moralisch überlegen fühlen. Doch das alleine macht auf die Dauer nicht glücklich, und die Aufopferung kann in der totalen Erschöpfung enden.

Hast Du für Dich erkannt, dass Du unter einem Helfersyndrom leidest, kannst Du Folgendes tun:


1. Selbstreflexion

Hinterfrage die Gründe für Deine übermäßige Aufopferung. Hilfst Du anderen, damit es ihnen gutgeht? Oder hilfst Du ihnen, damit es Dir gutgeht? Um das Helfersyndrom zu überwinden, solltest Du nach den Ursachen in der Vergangenheit graben. Wenn Du Deine Motivation verstehst, kannst Du Dein Verhalten analysieren und ändern.
 

2. Selbstwertgefühl stärken

Erkenne Deinen Wert und Deine Stärken. Vor allem erkenne, dass Dein Selbstwert nicht von der Anerkennung anderer abhängt. Jeder Mensch hat seine Stärken und Schwächen, und letztere musst Du nicht durch Aufopferung kompensieren. Lerne Dich zu akzeptieren, wie Du bist.
 

3. Nein sagen

Je stärker Dein Selbstwertgefühl ist, umso leichter lernst Du Nein-Sagen. Denn nur weil Du eine Bitte abschlägst, bedeutet das nicht, dass Du nicht mehr liebenswert bist. Ein Nein zeigt anderen einfach Deine persönliche Belastungsgrenze auf – und das ist völlig in Ordnung. Dazu gehört auch, zu Dir selbst Nein zu sagen, wenn Du wieder den Drang verspürst, jemandem ungefragt helfen zu wollen.
 

4. Auszeiten nehmen

Du kannst nicht immer nur für andere da sein. Du brauchst auch Auszeiten, in denen Du Deine Akkus wieder aufladen kannst. Egal ob es ein längerer Urlaub ist oder ein Wochenende, an dem Du nur Dinge tust, die Dir Spaß machen – baue regelmäßige Auszeiten nur für Dich ein. Tue Dir auch im Alltag Gutes. Mach Sport, sorge für ausreichend Entspannung und gönne Dir schöne Dinge. Ziel ist es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Helfen und Selbstfürsorge zu erreichen, um einer Überlastung vorzubeugen.
 

Verspürst Du wirklich zwanghaft den Drang, helfen zu müssen, fällt es Dir vermutlich nicht leicht, Dich selbst davon zu befreien. Dann nimm therapeutische Hilfe an – so schwer es Dir auch fällt, Dir von anderen helfen zu lassen.

 

Umgang mit Menschen mit Helfersyndrom

Sie begegnen uns in der Arbeit oder in der Familie: Fast jeder kennt einen Menschen, dem man ein Helfersyndrom attestieren würde. Eine zum Helfersyndrom neigende Person lässt sich von außen gut erkennen. Ständig opfert sie sich für andere auf, ist sichtlich angestrengt und belastet. In ihren Hilfsaktionen verhält sich die Person schon fast übergriffig.

Manchmal würdest du sie am liebsten schütteln und sagen: „Bleib doch einmal sitzen, ruhe Dich endlich aus, schaue mehr auf Dich selbst, lasse die anderen in Ruhe“. Hier sind ein paar Tipps, wie Du am besten reagierst, wenn du mit einer vom Helfersyndrom betroffenen Person zu tun hast:

  • Wenn Du mit dieser Person ein vertrauensvolles Verhältnis hast, kannst Du ihr behutsam sagen, was Du beobachtet hast und dass Du dir Sorgen machst.
  • Erspare der anderen Person eine Diagnose wie: „Du hast doch das Helfersyndrom“. Das wirkt in dieser Form nur verletzend.
  • Versuche, die Person zu entlasten und biete ihr Deine ganz praktische Hilfe an.
  • Aber denke dran: Die Person muss selbst erkennen, dass sie etwas an ihrem Verhalten ändern muss. Du kannst sie nicht dazu bringen. Doch behutsame Denkanstöße sind erlaubt.
  • Wenn Du die Person darauf ansprichst, kann sie wütend oder sogar mit Tränen reagieren. Lass die Person dann in Ruhe und nimm es nicht persönlich. Vielleicht hast Du bei ihr einen Denkprozess in Gang gebracht.